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Aus der "Werkstatt"

Aus meiner "Werkstatt"








 

GottesPoesie - Bibelübersetzungen

Psalm 23: Bist DU bei mir, so fehlt mir nichts! 

1 Ein Harfenlied Davids.

 EINER ist mein Hirt, also fehlt mir nichts. 
2 Auf grünen Wiesen lässt Er mich lagern 
 an Wasser, wo ich Ruhe finde, führt Er mich.
3 Die Seele bringt Er mir zurück;
 Er leitet mich auf den richtigen Wegen, 
 um Seines Namens willen.
4 Muss ich auch gehn durch die Todschattenschlucht,
 ich fürchte nichts Böses, Du bist ja bei mir.
Dein Stock, deine Stütze  
- die machen mir Mut.

5 Du deckst mir den Tisch 
 vor den Augen derer, die mich bedrücken.
 Du salbst mein Haupt mit Öl, 
 übervoll ist mein Becher.
6 Nur Glück und Liebe verfolgen mich nun 
 alle Tage meines Lebens,
 und ich komm zurück zu DES EINEN Haus 
 solang meine Tage dauern. 

3,


Thesen zur Theologie
Wie heute von Gott reden?
Bescheiden. Reflektiert. Erlösend. Poetisch. Christlich 

1. Bescheiden 
1.1 Das zweite Gebot (Du sollst den Namen Gottes nicht „verunehren“/missbrauchen)
  warnt vor dem unbedachten oder gar manipulativen Gebrauch des Wortes „Gott“. 
  Gott ist weder Erziehungshilfe noch politischer Kampfbegriff,
  niemals Objekt, nie haben wir „objektive“, nachweisbare Erkenntnisse über Gott.  
 
1.2 Weil jede menschliche Vorstellung menschlich ist und bleibt, 
  darum sind alle Vorstellungen über Wirklichkeiten, die unseren Horizont übersteigen
  (wie Mikrokosmus, Weltall, Transzendenz) 
 mindestens so falsch wie richtig (so schon das IV.Laterankonzil 1214).
  Denn, so verdichtet Angelus Silesius eine Grund-Einsicht der Mystik, 
    „Gott ist ein lauter Nichts, Ihn rührt kein Nun noch Hier,
  je mehr du nach Ihm greifst, je mehr entwird Er dir!     

1.3 Aussagen über Gott sind keine Definition, kein Ortsschild
 - sie sind Wegweiser,  und keineswegs weisen sie immer in die richtige Richtung.  

1.4 Zudem sind die Wegweiser „in Spiegelschrift“.  
     Sie sagen nicht, wie Gott „ist“, sie verweisen darauf, wo „Er“ uns aufgeht 
    (so wie beim „Sonnenaufgang“ die Sonne nicht aufgeht, sondern nur uns aufgeht).   
     Moderne Theologie nennt diesen Perspektivwechsel die „anthropologische Wende“:  
    "Wenden" wir den Glaubens-Satz „Gott ist die Liebe",  so bedeutet er: 
     wir können von Gott nie mehr verstehen als da, wo wir lieben.

2. Reflektiert 
2.1 Dass wir Gott nicht „wissen“ könne, ist keine Rechtfertigung für Denkfaulheit.  
      Der Satz „Das kannst du nicht verstehen, das musst du glauben!“ ist doppelt falsch.
      Weder kann ich auf etwas vertrauen, dass ich nicht verstehe,
       noch setzt Glauben da ein, wo wir Wissenslücken haben. 

2.2 Bei allem Wissen über das Wie, Wann und Was bleibt das letzte Warum unfassbar.
       Ist alles, was ist, nur Zufall? Grundlos, sinnlos, ziellos? 
       Kann Komplexes ohne Konzept entstehen? Kann man ohne Sinn leben? 
       Verträgt sich Liebe mit Beliebigkeit? Gibt es Ethik, ein Sollen, in einer Zufalls-Welt? 

2.3  Eine Denkhilfe für Christen kann die „evolutionäre Erkenntnistheorie“ sein.
       Sie (Rupert Riedl, Karl Popper, Konrad Lorenz) versteht Evolution als Lernprozess.
      „Die Flosse des Fisches ist die Antwort auf das Meer“ (Konrad Lorenz).
      Unsere Beine antworten auf das Leben an Land, unsere Augen auf die Sonne.
      Worauf antwortet unser Bewusstsein, unsere „Seele“, unsere Sehnsucht,
      die über alles Begreifen hinausfragt und -träumt?
      Ist das, was uns Menschen ausmacht, ein Webfehler der Evolution
      oder ein Reflex einer größeren unfassbaren Wahrheit?
  
2.4 Gott, so ein philosophisch- psychologischer Einwand, ist eine menschliche Projektion.
      Dem Menschen wird aufgrund seiner Intelligenz seine fragliche Existenz bewusst,
      In dieser Daseinsangst sehnt er sich nach Geborgenheit,
      in seiner Trauer um gestorbene Liebe sehnt er sich nach bleibender Verbindung,
      in seiner verzweifelten Suche nach Sinn sucht er einen letzten Grund
     - und erfindet den Placebo „Gott“ : 
     „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde“ (Anselm Feuerbach). 
      Jede Aussage über Gott ist zunächst eine Aussage von und über Menschen.                               

2.5 Die Sehnsucht des Menschen wünscht Gott. Aber woher kommt diese Sehnsucht? 
      Reflektiert fragen wir, was und warum Menschen von Gott wünschen. 
      Schon die Mystik spürte und die Schöpfungsgeschichte erzählte:
      Das Leben ist eine Projektion Gottes. „Er“ hat sich uns ein-gebildet. 

3.  Erlösend 
3.1 Religion ist nur lebendig, wenn sie mehr ist als Folklore, Konvention und Sozialarbeit,           
      wenn sie an die Seele geht. 
     Diese Tiefen-Wirkung ist aber doppeldeutig und keineswegs immer heilsam.

3.2 Oft wird Gott verwechselt mit jenem andressierten verinnerlichten Regelsystem, 
      das Siegmund Freud „Über-Ich“ genannt hat.
      Das Über-Ich macht fast immer ein schlechtes Gewissen und damit klein: 
      „Du bist nicht in Ordnung“, ist seine Grund-Botschaft, Paulus nennt es „das Gesetz“. 

3.3 Uns früher und tiefer ein-gebildet als das Über-Ich ist allerdings das Ur-Vertrauen, 
      die Erfahrung geschenkter Zuwendung, ohne die kein Menschenkind überlebt, 
      auch wenn viele zu wenig davon bekommen.
      „Schön, dass du da bist“, sagt das Ur-Vertrauen - Paulus nennt es „Evangelium“. 
      Und Evangelium bedeutete Amnestie, Freilassung, Auslösung.
      Im Ur-Vertrauen spricht sich der Gott der Bibel viel mehr aus als im Über-Ich.
      In der Kirche heißt das „Segen“!

3.4 Jede Religion, jede Gotteskunde kann als Druckmittel missbraucht werden.
      Sie stabilisiert dann die Herrschaft derer, die das Sagen haben,
      oder immunisiert überkommene Lebensformen gegen Infragestellung.
      Doch kann Religion auch ein „Resilienz-Reservoir“ sein, 
      und ein Kernthema biblischen Gottesglaubens ist die Befreiung aus der Unmündigkeit, 
      die Erlösung aus Angst und Enge. 

3.5 Wer sich mit dem Namen Gottes Menschen unterwirft, 
      auch zu ihrem angeblich Besten, ist nach der Bibel ein Gotteslästerer.
      Nur wo die Gotteshoffnung hilft, dass Menschen aufatmen, 
      dass sie sich ein wenig lösen aus Angst und Enge, auch aus der Angst um sich selbst, 
      wird nach den Maßstäben der Bibel angemessen von Gott gesprochen.

4.  Poetisch 
     Sowohl ein nüchtern-protokollierender Tonfall wie die moralisierende Ermahnung,
     sowohl die völlig lebensfremde Formelsprache als auch bemühte Lockerheit 
     scheinen mir unangemessen für jeden Versuch, das Gottesgeheimnis anzusprechen. 
      Angemessen ist m.E. nur eine poetische Sprache, die nicht leichtfertig ist, 
     die aber immer über sich hinausweist (vgl. z.B. Huub Oosterhuis). 

5. Christlich 
5.1 Christen können auf Dauer nicht von Gott sprechen, ohne von Jesus zu erzählen.
      Jesus hat vorgelebt, wie und wo Gott ist.
      Aber auch hier ist Bescheidenheit und Vorsicht bei „Aktualisierungen“ angebracht.

5.2 Es gibt unterschiedliche Tiefenerfahrungen: Macht, Freiheit, Gemeinschaft, Tod.
      Nach der Bibel ist Liebe die Tiefenerfahrung, in der wir Gott „kosten“. 
      Aber auch hier bleibt selbstkritische Prüfung nötig:
      benutzen wir das Wort Liebe, wenn wir im Grunde besitzen und beherrschen wollen? 

6. Persönliche Gegenprobe  
(1) Was „bewirkt“ mein Glaube an Gott bei und in mir? 
     Was würde sich ändern, wenn ich diesen Glauben nicht (mehr) hätte?
 
(2) Wo „spüre“ und ahne ich etwas von dem Grund und Geheimnis des Lebens,
      das das Wort Gott erinnert, nicht beschreibt?

(3) Was kann ich tun, dass Gott für mich nicht nur ein Wort, eine Idee ist. 
   Wir kann ich „IHN“ in mein Leben einlassen?







Ein Märchen
Guingamor oder die Jagd nach dem weißen Eber
Vor langer Zeit herrschte in der Bretagne ein König, dessen Name längst vergessen ist. Aber noch heute erzählt man von seinem Neffen Guingamor. Der war ein Ritter, wie er sein sollte: mutig und höflich und freundlich, dazu auch klug und gutaussehend. Am Hof und im ganzen Land war Guingamor geachtet und beliebt. Auch der schönen stolzen Königin gefiel er, doch war ihre Zuneigung nicht die einer Tante, sondern die einer leidenschaftlichen Frau.
Eines Tages war der König ausgeritten auf die Jagd. Guingamor war im Schloss geblieben, saß mit Freunden in der Halle und spielte Schach. Da ging die Königin durch den Saal, sie blieb stehen, sie sah ihren Neffen an, der am Fenster saß, und ein Sonnenstrahl erhellte sein Gesicht und ließ die goldenen Locken leuchten. Und da konnte sie dem Verlangen nicht mehr widerstehen. „Bring Guingmor in meine Kammer“, befahl sie einer Zofe. 
Als Guingamor kam, schickte die Königin alle Dienerinnen hinaus und schloss die Tür. „Guingamor, mein Lieber“, sagte sie mit rauer Stimme, „ich habe im Vertrauen mit Euch zu sprechen.“ Guingamor schaute die Königin ratlos an. Sie aber lächelte: „Nun, mein hübscher Ritter, heute wartet ein besonderes Abenteuer auf Euch. Eine schöne Frau hat sich in Euch verliebt und will von Euch erobert werden!“ Guingamor wusste noch immer nicht, was die Königin wollte. „Herrin“, sagte er, „wie sollte ich eine Frau lieben, die ich gar nicht kenne?“ - „O, Ihr kennt sie,“ wieder lächelte die Königin, „sie steht vor Euch und wartet auf Eure Liebe!“ Da erstarrte der junge Ritter, erst brachte er kein Wort heraus, dann stammelte er: „Herrin, ich will Euch jederzeit ehren und dienen, wie es Euch als Gattin meines Herrn und Königs zusteht.“ - „Ach Unsinn,“ stieß sie hervor, „du sollst mich nicht als Königin verehren, sondern lieben als Frau.“ Und sie fiel ihm um den Hals und küsste ihn, Guingamor aber riss sich los und stürzte aus dem Zimmer – wütend und beschämt. 
Das brachte die Königin wieder zur Besinnung. Was sollte sie nun tun? Und was würde ihr Neffe tun? Würde er sie verraten? Nein, wohl kaum. „Aber verschwinden muss er,“ sagte sie sich, „er bleibt eine Gefahr, solange er am Hof ist, und ich verzeihe ihm nicht, wie er mich zurückgestoßen hat.“ Ihr Entschluss stand fest. „Guingamor muss weg!“
Als sie nun am Abend mit dem König und seinen Rittern an der Tafel saß und die Männer mit ihren Jagdabenteuern prahlten, stand die Königin auf: „Ihr Herren, an diesem Tisch wird viel von ritterlichen Taten gesprochen. Aber mir scheint, dass mancher von Euch vor einem echten Abenteuer zurückschreckt.“ Guingamor starrte auf seinen Teller, aber er spürte, die Königin sah ihn an. „Schon lange“, fuhr sie fort, „streift ein weißer Eber durchs Land, und keiner von Euch schafft es, ihn zu erlegen. Das ist eine Schande. Ich biete tausend Pfund Gold für seinen Kopf. Nun, ihr Herren, wer wagt es?“ Es wurde still im Saal, doch Guingamor wusste: er war gemeint.
Der König schüttelte bedenklich den Kopf: „Lasst es gut sein, meine Liebe. Schon zehn meiner besten Ritter haben den Eber verfolgt, und keiner von ihnen ist zurückgekommen. Es ist nicht geheuer in den Wäldern und auf der Heide am Fluss, und ich will keinen Mann mehr verlieren.“ Die Königin zuckte mit den Schultern. „Nun, dann gute Nacht, ihr Helden“, sagte sie lächelnd und rauschte aus der Halle. 
Guingamor fand keinen Schlaf in dieser Nacht, und am nächsten Morgen trat er vor den König. „Mein Herr, ich bitte Euch, erlaubt mir, den weißen Eber zu jagen und den Wunsch der Königin zu erfüllen.“ Der König wollte nicht, aber endlich gab er nach, wenn auch nur ungern. Er ließ ein gutes Pferd für Guingamor bringen und befahl den besten Jägern, ihn zu begleiten.

So brachen sie auf in den Wald. Die Jäger fanden bald die Spur des Ebers im Morast und spürten das Tier im Dickicht auf: es war ein mächtiger Keiler, nie hatten sie einen größeren gesehen, und wirklich weiß wie Schnee. Der Eber floh vor ihnen aus dem Wald durch die Heide hinunter zum Fluss. Am Waldrand schwang Guingamor sich auf sein Pferd, ließ die Jäger zurück und hetzte dem Eber nach über die Heide, aber sie kamen dem Eber nicht näher - und plötzlich war er verschwunden. Guingamor suchte das Ufer ab, bis es dunkel wurde – da sah er drüben auf der anderen Seite das weiße Fell in der Dämmerung leuchten. 
Der Fluss war die Grenze des Reiches, Guingamor war nie drüben gewesen, und das Wasser war tief und tückisch. Aber da lag genau vor ihm am Ufer ein verlassenes Fährboot, er führte sein Pferd auf die Fähre und stakte hinüber. Auf der anderen Seite war die Dämmerung dem Morgenlicht gewichen, auch dehnte sich hier keine Heide voller Dornen und Gestrüpp, sondern Guingamor ritt über eine wunderschöne grüne Wiese, auf der blühten Blumen in allen Farben. Und mitten auf der Blumenwiese ragte ein Schloss auf, das war ganz aus mächtigen Steinen gebaut, ohne Kalk und Mörtel. Hohe Türme glitzerten wie Silber, und als er näherkam, schwangen mächtige Tore aus Elfenbein vor ihm auf. Er ritt in den Hof. Überall Gold und Silber, es funkelte und glänzte. Aber totenstill war es, kein Mensch war zu sehen. Guingamor stieg vom Pferd und ging durch das Schloss, die Hallen und Gemächer waren so prächtig wie die Außenmauern, aber auch hier fand er keine lebende Seele. Es war unheimlich.
So verließ er das Schloss und ritt auf der Suche nach dem Eber weiter über die Wiese. Manchmal glaubte er, das Schnauben des Ebers zu hören, aber sehen konnte er ihn nicht. Dann entdeckte er am Rand der Wiese einen ausladenden Weidenbaum, unter dem grünen Laubdach sprudelte eine Quelle hervor, und in dem kristallklaren Quell badete eine junge Frau - nie hatte Guingamor ein schöneres Mädchen gesehen. Eine Freundin oder Zofe kämmte das lange Haar der Schönen, und ihr kostbares Kleid hing an einem Ast der Weide. Guingamor hatte schon viel von zauberischen Frauen gehört und dass man Macht über sie bekommt, wenn man ihnen die Kleider raubt. Also stieg er vom Pferd, schlich näher, sprang dann zum Baum und riss das Gewand an sich.  
Das Mädchen im Teich blickte auf und sah ihn an, erschrocken wirkte sie nicht, sie lächelte, aber ihr Lächeln war ganz anders als das der Königin. „Guingamor“, sagte sie, „was tust Du da. Findest du es sehr ritterlich, fremden Damen die Kleider zu rauben? Gib mir mein Kleid, ich laufe gewiss nicht fort, und dann komm mit mir und sei mein Gast.“ Guingamor wurde rot, er wandte den Blick ab und reichte ihr das Kleid. „Leider kann ich nicht mit Euch kommen, schönste Herrin,“ sagte er, „Ich muss dem weißen Eber nach.“ Sie lachte. „Der läuft Dir nicht weg. Und ohne meine Hilfe wird niemand diesen Eber fangen. Komm also mit mir, und in drei Tage wartet der Eber auf dich!“
Ja, da konnte Guingamor nicht widerstehen. Die Zofe brachte ein prächtig geschmücktes weißes Maultier, Guingamor half der Dame in den Sattel und ritt dann neben ihr her, und er konnte die Augen nicht von ihr lassen. „Wie schön Ihr seid“, stammelte er, „so wie ich Euch sah, wusste ich, dass ich keine lieben kann außer Euch!“ - „Dann ist es ja gut, dass du mich gefunden hast“, sagte sie lächelnd, „denn auch ich liebe dich. Komm, küss mich!“ Und das tat er dann auch, so wird erzählt, und mehr als einmal – obwohl das nicht einfach gewesen sein kann beim Reiten. 
Nun kamen sie zurück zu dem prächtigen Schloss. Aber das war ganz verwandelt, war zum Leben erwacht und voll buntem Treiben. Eine muntere Gesellschaft strömte ihnen entgegen; Guingamor erkannte in der fröhlichen Menge auch die zehn vermissten Ritter seines Onkels, die begrüßten ihn voll Freude. Dann wurde ein prächtiges Mahl aufgetischt, und die Nacht war erfüllt vom Klang der Harfen und Fiedeln und von Gesang. Nie hatte Guingamor so ein Fest erlebt, soviel Schönheit und Glück – verglichen damit war der Hof seines Onkels ärmlich. Aber schöner als Gold und Glanz war die Dame aus dem Teich, und Guingamor größtes Glück war die Liebe, die sie ihm schenkte.
Drei traumhafte Tage vergingen wie im Flug. Dann aber erinnerte Guingamor sich an seine Pflicht. „Ich muss jetzt aufbrechen“, sagte er am Morgen zu seiner Liebsten, „mein Onkel sorgt sich sicher schon um mich, und ich muss den Eber noch zur Strecke bringen.“ Sie wurde sie sehr ernst: „Mein Freund, nicht drei Tage sind vergangen, sondern dreihundert Jahre. Dein Onkel ist lange tot, und tot sind alle die du kanntest. Kein Mensch weiß mehr von ihnen, kein Mensch weiß mehr von dir!“ Guingamor erbleichte. „Das kann doch nicht sein. Das kann ich nicht glauben. Ich muss zurück, ich muss es selber sehen!“ - „Dann geh, mein Freund, aber du darfst nichts essen und trinken auf der anderen Seite des Flusses. Und komm bald zurück, ich warte auf dich!“
Nun ließ sie Guingamors Pferd bringen und brachte ihn bis vors Tor des Schlosses, dort fand er den weißen Eber. Manche erzählen, Guingamor habe sein Schwert gezogen und dem Tier mit einem Streich den Kopf abgeschlagen, andere sagen, den Eber, den keines Menschen Hand töten konnte, hätte schon erlegt dort gelegen.
Wie auch immer, Guingamor band den Kopf des weißen Ebers an seinen Sattel, schwang sich auf sein Pferd und ritt zum Fluss. Dort lag noch das Fährboot, und er setzte über. Aber auf der anderen Seite war die Heide verschwunden, dort wuchs ein großer dunkler Wald. Bis zum Mittag irrte Guingamor durch den Wald, da hörte er Axthiebe, und bald traf er einen Köhler, der fällte Bäume für seinen Meiler. Guingamor grüßte höflich. „Guter Mann“ fragte er dann, „kannst du mir sagen, wie ich aus diesem Wald zum Schloss des Königs finde?“ Der Köhler blickte ihn erstaunt an. „Verzeiht, mein Herr“, sagte er, „aber ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht. Schon lange gibt es keinen König mehr im Land, und alle Schlösser, die hier einst gestanden haben, liegen in Trümmern. Nur alte Leute erzählen noch von der Königszeit und vom Neffe eines Königs, Guingamor, der damals hier in diesem Wald verschwand, als er einen weißen Eber jagte.“. Da war es Guingamor, als würde sein Herz zerbrechen, und Tränen liefen über sein Gesicht. „Mann,“ sagte er zu dem Köhler., „ich bin dieser Guingamor, und hier ist der Kopf des weißen Ebers.“ Und er erzählte, wie er über den Fluss gefahren war, wie er zum Schloss auf der Wiese kam, wie er die Dame im Teich gefunden und ihre Liebe gewonnen hatte, und von dem dreitägigen Fest, bei dem dreihundert Jahre vergangen waren. Dann gab er dem Köhler den Eberkopf und bat ihn, alles im Land zu erzählen, wandte sein Pferd und ritt zurück zum Fluss.
Nun war es schon Nachmittag, und Guingamor hatte seit dem Morgen nichts gegessen und getrunken. Und als er an einem wilden Apfelbaum vorbeikam, pflückte er ganz in Gedanken einen Apfel und biss hinein. Und im gleichen Augenblick fing er an zu zittern, sein Leib verfiel, das Haar wurde weiß, die Haut faltig, er sank in sich zusammen und glitt vom Pferd. Stöhnend lag er am Boden.
Der Köhler, der dem seltsamen Fremden nachgeschaut hatte, sah all das. Er lief zu ihm, um dem Gestürzten zu helfen. Da tauchen plötzlich vor ihm zwei schöne junge Damen auf, prächtig gekleidet, auf einem weißen Pferd. Sie steigen bei Guingamor ab, heben ihn in den Sattel des weißen Pferdes, stützen ihn und führen das Pferd hinunter zum Fluss. Dort wartet ein Nachen auf sie, und sie fahren hinüber aufs andere Ufer – und nun sah der Köhler sie nicht mehr.
Aber all das was er gesehen hatte, und das, was Guingamor ihm er erzählt hatte, das berichtete er im ganzen Land. Den Kopf des Ebers aber brachte er bis nach Paris zum König von Frankreich, der nun das ganze Land beherrschte. Und der befahl seinen Schreibern, Guigamors Abenteuer aufzuzeichnen – und so wissen auch wir noch davon.

 (in Fischer, Märchen aus der Bretagne, nach dem altfranzösischen anglonormannischen Lai von Marie de France, 12.Jahrhundert,
Erzähl-Bearbeitung: Heinrich Dickerhoff)




Die Wahrheit der Märchen . 3 x 3 Thesen
1. „Verbürge dich für die Wahrheit der Märchen, die du erzählst!“
Märchen sind wahr, nicht wenn und weil sie „passiert“ sind (und dann wieder „passé“), sondern wenn und weil wir sie bewahren, wenn und weil wir sie nicht vergessen wollen (griech: alätheia).
2. „Eine (wahre) Erfahrung sucht eine Geschichte“ (Max Frisch). 
Empirische Wahrheiten sind „exakt“, überprüfbar, „falsifizierbar“, aber oft eher persönlich bedeutungsarm.
Historische „Wahrheiten“ sind immer gedeutet und damit relativ(er).
Von einem Lebens-Traum(a) können wir aber nur poetisch sprechen, und poetisch-existentielle Wahrheiten können nur in Bildern und Geschichten „unscharf“, aber be-deutungsoffen an-gedeutet werden (Novalis).  
3. Die Kern-Wahrheiten der Zauber-Märchen:
(1) Trau Dich! Geh deinen Weg. 
(2) Und trau dem Leben. Da ist mehr Ja als Nein.  
Märchen-Beispiel: Der siebente Vater im Haus (Norwegen).
Märchen können uns nicht sagen, was unser Weg ist.
Aber sie machen uns Mut, den Weg zu suchen und zu gehen, trotz aller Widerstände und unvermeidlichen Umwege. Und Wünsche, die uns in Bewegung bringen, helfen (KHM 1)! Und sie machen uns Mut zu vertrauen, dass da ein Weg für uns ist, dass es nicht nur Gefahren gibt, sondern auch Gefährten, und dass am Ende das Ja stärker ist als das Nein - ähnlich auch die beiden post-modernen Groß-Erzählungen Herr der Ringe und Harry Potter.
4. Märchen sind eine Quelle der Resilienz, weil sie ein gutes Ende (an)nehmen.
In der Hochkultur ist das gute Ende (als „happy end“) weitgehend verpönt. Aber Menschen hungern nach Geschichten, die gut ausgehen, Geschichten, die uns sagen: es kann gut gehen!
M
ärchen verschweigen nicht Widerstände und Gefahren auf dem Weg (Grausamkeit!), sind sie auch Spiel mit der Angst (Grusellust) im geschützten Rahmen der Erzählgemeinschaft.
So können Märchen uns helfen, uns selbst und unsere Welt anders zu sehen, nicht rosarot, aber auch nicht immer nur schwarz, sondern blau (vgl. Die blaue Rose).
5. Märchen sind eine Quelle der Resilienz, weil sie das Ur-Vertrauen er-innern.
In jedes Menschen „Seele“ klingen seit der Kindheit zwei lebenslang wirksame „Stimmen“:  Die eine - Sigmund Freud nannte sie "Über-Ich" - bewahrt verinnerlichte Regeln und Muster, die oft unvermeidlich "andressiert" werden müssen; das Über-Ich ist also nicht „grund-böse“. Aber seine Grund-Botschaft ist doch: "Du bist nicht in Ordnung!"
Noch tiefer in uns verwurzelt ist eine andere Stimme, Ur- oder Grund-Vertrauen genannt. Kein Säugling kann überleben, wenn ihm nicht Große Menschen Zuwendung schenken. Und die Grundbotschaft dieser Zuwendung ist: "Wir schön, dass du da bist!"
Manche Kinder erfahren solche Bejahung nur kümmerlich, auch später kann das Ur-Vertrauen verkümmern, aber etwas davon ist in jedem Menschen, 
und Märchen können es stärken und wachrufen, es bewahren und bewahrheiten, weil sie das Abwesende zugleich vermisst und anwesend sein lassen (Dorothee Sölle). Und auch die schwingende Sprache der Erzählenden erinnert Ur-Vertrauen.
 6. Märchen muten uns die harte Wahrheit zu, dass wir erwachsen werden müssen. 
Märchen-Wahrheit ist nicht nett und harmlos, manchen erscheint sie grausam. Märchen muten uns zu, erwachsen zu werden, eigenverantwortlich zu leben, 
biblisch-bildlich gesprochen: „Vater und Mutter zu verlassen“, und das sind nicht unsere äußeren Eltern, sondern verinnerlichte Lebens-Erwartungen:
„Mutter“ – stillt all meine Bedürfnisse;
„Vater“ - kann alles in Ordnung bringen.
Kein Mensch, keine Institution stillt all meine Bedürfnisse und bringt alles für mich in Ordnung.
7. Märchen erinnern die Hoffnung, dass die Liebe wahrer ist als das ewige Sterben. 
Immer wieder erzählen die Märchen auch von der uralten Menschheits-Hoffnung, dass die Liebe wahrer und stärker ist als der Tod - das ist das radikalste, unserer Erfahrung am stärksten widersprechende „gute Ende“. Sie spiegeln damit wohl die Erfahrung, dass Liebe zwar enden kann, dass aber der Tod Liebe nicht beendet und am Gefühl der Liebe nichts ändert.    
8. Mit Märchen muten – Märchen als Wünschelrute 
Märchen sind weniger eine Kostbarkeit an sich als vielmehr eine Wünschelrute. Mit Märchen können wir „muten“, in uns verborgene Wahrheiten und Sinn-Reserven aufspüren. 
9. Märchen – Wahrheit in kleiner Münze
Märchen sind keine Denk-Systeme, keine Welterklärungs-Theorien. Sie sind nicht große Geistes-Schätze, nicht Philosophie, Metaphysik oder Theologie.
Diese Groß-Theorien sind oft wie Schecks, deren Deckung wir nicht überprüfen können, oder doch wie 500-€-Scheine, mit denen man im Alltag kaum etwas kaufen kann. ärchen sind Wahrheit in kleiner Münze, darum leicht einzuwechseln.




Aus Geschichte (nicht nur Mittelalter)
& Gesellschaft

Eine Reise durchs Mittelalter 
0. Wann war das Mittelalter?
  Am Anfang steht Mohammed, am Ende Martin Luther

1. Die schwierige Geburt
(1) Mit dem Siegeszug des Islam im 7.Jahrhundert zerbricht endgültig 
die „römische“ politische, kulturelle und wirtschaftliche Einheit des Mittelmeerraumes.

(2) Schon im 5.Jahrhundert war in Mittel- und Westeuropa der „Staat“ kollabiert,
mit neuen Bevölkerungsgruppen dringen „primitive" Lebensformen vor.
Einzige überlebende Großorganisation und Traditionswahrerin ist die Kirche. 

2. Das Frühmittelalter (ca 650 - 1000)
(1) Immer wieder kommt es zu oft brutalen Versuchen einer "politischen Konzentration" 
durch Erneuerung des überregionalen "römischen" Reichs. 
Aber weder das byzantinisch-"oströmische" Reich 
noch die von nur kleinen Gruppen getragenen Germanenreiche (z.B. Goten, Vandalen)
können sich langfristig in Westeuropa etablieren. 
Einzig erfolgreicher "Renovierungsversuch"und Ausgangspunkt des „Abendlandes“
ist das Reich der katholisch gewordenen Franken: 
Karl der Große gewinnt als erster die Kaiserkrone für das neue abendländische Großreich;

(2) Doch die politisch-sozialen Verhaltensmuster bleiben archaisch, 
der Staat bleibt "Familienbetrieb". 

(3) Kirche und Christentum schaffen – vor allem durch die Klöster -
eine oberflächliche religiöse und kulturelle Einheit sowie eine "intellektuelle Elite".  

(4) Handel ist vor allem Tausch- und Kleinhandel, selten Fernhandel, Geld gibt es kaum.
Lebensgrundlage ist die Landwirtschaft, doch geraten mehr und mehr freie Bauern in Abhängigkeit.
 
(5) Hochspezialisierte Reiterverbände lösen die Volksaufgebote der freien Männer ab. 
Das Feudalsystem (Lehnswesen) ermöglicht den neuen "Kriegeradels" der "Ritter",
zerstört aber die germanisch-bäuerliche Gesellschaftsstruktur
und zersetzt immer wieder zentralistische Herrschaftsbildung. 

(6) Die Bedeutung der Städte ist gering, Wirtschafts- und Kulturzentren sind die Klöster.


3. Das Hochmittelalter (1000 - 1300)
(1) Kaisertum und Papsttum beanspruchen die "universelle" Führung der Christenheit 
und verkörpern so das "abendländische Bewusstsein",
auch im das Hochmittelalter prägenden Konflikt zwischen weltlicher und geistlicher Macht. 

(2) Die christliche Tradition wird prägende Kraft und hervorragender Ausdruck der Kultur 
- man spricht von "zweiter Christianisierung": 
sie wird in der beginnende Scholastik "systematsch" durchdacht 
und als "bürgerliche" Armutsbewegung (Franz von Assisi) wieder kritischer Impuls.
Die Auseinandersetzung mit anderen politisch-religiösen Kreisen (Islam, Byzanz, Mongolen) 
bestärkt dies Gefühl der Identität. 

(3) Die Kreuzzüge lenken überschüssige Kraft aus Westeuropa ab 
und bringen zugleich kulturelle und ökonomische Anregungen.
Im Rittertum entfaltet sich ein neues Lebensideal und Frauenbild.

(4) Zunächst in Italien, dann auch diesseits der Alpen blüht städtische Kultur wieder auf
- und die mittelalterliche Bürgerstadt ist das Fundament unserer Zivilgesellschaft.
Doch wo eine übergreifende Lebensordnung entsteht,
werden Gruppen mit abweichenden Verhaltensmustern zunehmend zu Außenseitern,  
von weiten Bevölkerungsteilen sowohl als bedrohlich wie auch als anziehend empfunden.

(5) Architektonisch, geistig und kulturell führt der Weg von der Romanik zur Gotik,
von der festen Burg in einer unsicheren Welt zum Fenster zum Himmel

4. Das Spätmittelalter (1300 - 1500)
(1) Nicht mehr die ideellen "Universalmächte" Papst und Kaiser, 
sondern nationale politische Kräfte - vor allem die Könige von Frankreich und England – 
sowie Wirtschaftsmächte wie die Hanse werden bestimmend.

(2) Die Einheit hochmittelalterlicher Theologie und Weltordnung 
löst sich auf in eine Vielzahl widersprüchlicher theologischer Auffassungen 
Die Universitäten, vor allem die von Paris, lösen die Klöster ab als intellektuelle Zentren. 
Tiefe Innerlichkeit (Mystik) wie theologische Spitzfindigkeit, 
praktische Nächstenliebe wie abstruser Aberglauben kennzeichnen das religiöse Leben, 
bis zur Reformation wachsen die Spannungen 
zwischen kirchlicher Institution und religiösen Bedürfnissen der Menschen.
 
(3) Die Städte bewirken einen wirtschaftlichen Aufschwung, (Frühkapitalismus), 
während sich Lage und Status des Kleinadels und der bäuerlichen Massen verschlechtern. 
Das Rittertum wird zum auch militärischen Anachronismus. 
  
(4) Die Veränderungen lösen weniger Aufbruchs- als Weltuntergangstimmung aus,
Verunsicherung und aggressive Irrationalität nehmen zu. 
Die bleibende Angst nach dem Schock der Pestepidemie 1348/49 
- 1/3 der Bevölkerung stirbt, in den Städten bis zu 80% - 
wird in Inquisition und Hexenjagd nach außen projeziert.
 
(5) Die in Italien beginnende Renaissance (der Antike) und das humanistische Ideal 
zeigt sich in der Plastik: das Menschen-Bild steht frei im Mittelpunkt der Welt.
Doch war der Humanismus Idee (oder Attitüde) einer kleinen Elite, 
die "Aufsteiger" der Renaissance-Zeit sind der Fürst und der Bürger. 




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